Sonntag, 26. Februar 2017

THE BROOD (1979)















DIE BRUT

Kanada 1979
Regie: David Cronenberg
DarstellerInnen: Art Hindle, Oliver Reed , Samantha Eggar, Cindy Hinds, Susan Hogan, Henry Beckman, Robert A. Silverman, Nuala Fitzgerald u.a.


Inhalt:
Während sich Frank Carveths Ehefrau Nola in einer Therapie-Einrichtung befindet, kümmert er sich um die gemeinsame Tochter Candice. Als er nach einem Besuchswochenende der Kleinen bei ihrer Mutter Misshandlungsspuren an ihrem Körper entdeckt, stellt er den behandelnden Psychiater Dr. Raglan zur Rede. Der dubiose Seelenklempner versucht offensichtlich, den Vorfall zu vertuschen. Kurze Zeit später wird die mütterliche Großmutter der kleinen Candice grausam ermordet. Das Mädchen hat alles mitangesehen, kann aber nicht darüber sprechen. Es soll nicht der einzige Mord im nahen Umfeld der Familie bleiben. Frank stellt selbst Nachforschungen an, die ihn wiederum zu Dr. Raglan führen...


Dr. Raglan (Reed) mit einem Patienten


Candice (Hinds) wirkt verstört


"Psychoplasmatik" nennt sich die neuartige, von Dr. Raglan (Oliver Reed) entwickelte Therapieform. Frank Carveth (Art Hindle, u.a. bekannt aus Jessy – Die Treppe in den Tod) ist überzeugt, dass es sich bei dem berühmten Psychiater, der seine Frau therapiert, um einen Scharlatan handelt.
Tatsächlich benimmt Dr. Raglan sich wie ein Guru und hält seine Patienten und Patientinnen in einer von der Außenwelt abgeschirmten Einrichtung in emotionaler Abhängigkeit. Der Arzt selbst gefällt sich augenscheinlich nur allzu gut in der Rolle des ultimativen Heilsbringers.
Dieses und andere Elemente des von David Cronenberg verfassten Drehbuchs weisen auf einen Konnex zum Privatleben des Regisseurs hin. Seine Frau soll sich einer Sekte angeschlossen haben und es entbrannte ein heftiger Sorgerechtsstreit um die minderjährige Tochter des Ehepaars.
Im Wesentlichen sind diese Themen auch der Kern der Geschichte von "Die Brut" und prägen die stereotypen Charaktere:
Der gute Vater, der sich aufopfernd und liebevoll um seine Tochter bemüht. Die von anderen abhängige psychisch labile Mutter, die aufgrund eigener Erfahrungen ihr Kind misshandelt und es lieber tot sehen würde, als es dem Vater zu überlassen.
Das Drehbuch spricht in der Tat Bände.

"Die Brut" besaß (im wahrsten Sinne des Wortes) noch nicht die Explosionskraft des darauf folgenden Cronenberg Werks "Scanners", wird aber aufgrund seiner nihilistischen dunklen Stimmung von einer ganz speziellen Aura umsponnen. Das winterliche Kanada mit der kargen Landschaft präsentiert sich von seiner trostlosesten Seite. Scheinbar ein Ort, an dem es keine Zuflucht vor der drohenden Gefahr gibt. Der dem Verderben geweiht ist.
Die kleine Candice (ausgezeichnet gespielt von Cindy Hinds) ist ein überaus ernsthaftes Kind, dem man die Belastung und schließlich auch die Mehrfach-Traumatisierungen deutlich ansieht. Ihr Gesichtsausdruck wirkt wenig kindlich und regelrecht emotionslos. Sie scheint sich in einer permanenten Schockstarre zu befinden.
Ihr Vater, der um ihr Wohl und ihren Schutz bemüht ist, erkennt nicht, dass das Mädchen bereits stark geprägt ist von negativen und schrecklichen Ereignissen. Während er meint, noch etwas zum Guten wenden zu können und sich in Nachforschungen über Dr. Raglan verrennt übersieht er ihre seelische Not.

Abseits des Familienthemas mit all seiner zeitlosen Dramatik ist "Die Brut" meiner Meinung nach einer der am meisten unterschätzten Filme des kanadischen Regie-Exzentrikers und Vater des "Body-Horrors". Für mich, die sich trotz großer Liebe zum italienischen Kino der 70er nach wie vor stark im Bereich des phantastischen Horrorfilms verwurzelt sieht, ist dieser Schocker neben Die Fliege der Zugänglichste aus dem Œuvre David Cronenbergs.
"Die Brut" ist ein unheimlicher, bissiger und abstoßender Film - also genau so, wie man sich einen Genrefilm wünscht. Und im Gegensatz zu manch anderem würde ich ihn als würdevoll gealtert bezeichnen. Trotz des Entstehungsjahrs wirkt er immer noch nicht als käme er aus der Mottenkiste, was man von einigen 80er Jahre Splatterfilmen nicht behaupten kann.

Neben wirkungsvollen Effekten und unvergesslichen Ekelszenen prägt ganz besonders der britische Schauspieler Oliver Reed (u.a. in den Genrefilmen "Der Fluch von Siniestro", Die perfekte Erpressung oder Landhaus der toten Seelen zu bewundern) als  fragwürdiger Psychiater Dr. Raglan den Film.
Der Mann mit den stahlblauen Augen und der unvergleichlichen Ausstrahlung war ein exzellenter Darsteller. Doch Reed galt auch als "schwierig" und fiel nicht nur am Set von "Die Brut" durch wilde Alkoholexzesse auf. Er soll sogar eines Nachts in betrunkenem Zustand nackt von der Polizei auf der Straße aufgegriffen worden sein.

Die wie ihr trinkfester Kollege Reed ebenfalls aus London stammende Schauspielerin Samantha Eggar agiert in der Rolle der Nola Carveth wirklich wie von Sinnen. Die Sequenzen, in denen Dr. Raglan eine leichte Form der Hypnose einzusetzen scheint, um bei seiner Patientin Emotionen zu provozieren, sind meisterlich gespielt. Eggars intensiver Blick und ihr gesamtes Erscheinungsbild (das in mir Erinnerungen an Piper Laurie als Carries Mutter weckt) erzeugen einen herrlichen Schauder-Effekt. Besonders tritt dieser im quasi letzten Kapitel der Geschichte, in dem sie ihrem Mann die krankhaften Auswüchse ihrer eigenen unverarbeiteten Traumatisierung und Frustrationen anschaulich präsentiert, in den Vordergrund.

Mehr möchte ich, um Spoiler zu vermeiden, an dieser Stelle nun nicht mehr schreiben. Das Label "Wicked Vision" hat diesem Film eine exzellente Blu Ray Veröffentlichung spendiert. Für mich hat sich das Wiedersehen mit Dr. Raglan und Co. in dieser Form absolut gelohnt.




Foto: Blu Ray von Wicked Vision



Sonntag, 19. Februar 2017

BUCHTIPP: De Cataldo, Giancarlo und Bonini, Carlo: Suburra














"Ein brutaler Bandenkrieg erschüttert die Straßen Roms. Kommissar Malatesta ahnt den wahren Grund der Fehde: Ein gigantisches Bauvorhaben, das die Peripherie der Stadt bis zur Küste von Ostia mit Casinos, Hotels und Clubs zubetonieren soll. Dabei ziehen nicht nur korrupte Behörden, Mafia und Zigeunerclans am selben schmutzigen Strang, sondern auch Würdenträger aus Kirche und Politik. Allen voran Samurai, ein eiskalter Neofaschist."
Klappentext


Nur wenige Stunden nachdem ich den großartigen Milano Kaliber 9 in bombastischer Qualität (FilmArt BD) genießen durfte, habe ich mich an die Lektüre des thematisch ähnlichen Romans "Suburra" gewagt.
Direkt fielen mir erste Parallelen zwischen dem genannten Film und der gedruckten Mafia Story auf: rasante Szenenwechsel von Beginn an. Ein Verbrechen, das längere Zeit zurückliegt, doch Auswirkungen auf die Gegenwart haben soll.
Mafia und Verbrecher-Clans, die sich gegenseitig über den Tisch ziehen und ermorden. Brutal, skrupellos und meistens unberechenbar.
Das erste Drittel des Buchs hat meine Aufmerksamkeit ordentlich gefordert, weil so viele Charaktere auf wenigen Seiten eingeführt werden und zum Teil urplötzlich wieder von der Bildfläche verschwinden. Die hierarchischen Strukturen der einzelnen Banden bzw. die Zugehörigkeiten der agierenden Kriminellen nehmen erst zu einem späteren Zeitpunkt klarere Formen an.

Doch schon nach wenigen Seiten bereitete mir dieser Roman großes Lesevergnügen.
Ohne sich mit ausufernden Beschreibungen von Äußerlichkeiten oder Landschaften aufzuhalten, kommen die Autoren rasch auf den Punkt und straffen die Handlung durch kurze Kapitel und ausdrucksstarke Dialoge.
Die stilistische und sprachliche Unverblümtheit (beispielsweise der Verzicht auf pathetische Metaphern) ist erfrischend. Das Mafia-Insider Wissen des in Rom lebenden und arbeitenden Richters De Cataldo (u.a. Autor von "Romanzo Criminale") und des Investigativjournalisten Bonini kommt der Geschichte auf jeden Fall merklich zugute.

Leider dürften sich durch die Übersetzung einige Fehler eingeschlichen haben und an gewissen Stellen wäre es meiner Meinung nach besser gewesen, die italienischen Bezeichnungen so stehen zu lassen und in einem Glossar im hinteren Teil des Buches zu erklären.
Wenn die ProtagonistInnen von "Suburra" zum Beispiel alle paar Seiten "geh scheißen" sagen, weckt dies bei mir (als Österreicherin sowieso) immer Assoziationen zur Wiener Umgangssprache und diese Wortwahl wirkt im Zusammenhang mit der italienischen Mafia befremdlich.
Sprachlich hätte man wohl Manches eleganter formulieren können. Italienische Redewendungen, die man nicht eins zu eins übersetzen kann, wurden offenbar phantasielos ins Deutsche übertragen.
Trotz dieses (vermutlich besonders für pingelige Personen wie mich) Mankos ist "Suburra" ein spannender Roman mit ausdifferenziert dargestellten Persönlichkeiten jenseits der kitschigen Schwarz-Weißmalerei, über die ich mich manchmal bei der Lektüre von Bestseller Romanen ärgere.

"Suburra" ist ein Buch, das Mafia-Interessierten jedenfalls einige kurzweilige Stunden der Unterhaltung bietet. Wahrscheinlich ist die Kino-Adaption (Regie: Stefano Sollima) auch einen Blick wert. Erfreulicherweise wird "Suburra" im  Mai von Koch Media erhältlich sein.