Samstag, 17. Januar 2015

MANNEN PA TAKET (1976)














DER MANN AUF DEM DACH

Schweden 1976
Regie: Bo Widerberg
DarstellerInnen: Carl-Gustaf Lindstedt, Sven Wollter, Thomas Hellberg, Håkan Serner, Ingvar Hirdwall, Brigitta Valberg u.a.


Inhalt:
Ein Mann liegt des Nächtens allein in seinem Krankenhauszimmer. Auf seinem Gesicht bilden sich immer mehr Schweißperlen, er hat Schmerzen und kann nicht schlafen. Als er nach der Schwester klingelt, erhält er von dieser Medikamente und sie begleitet ihn zur Toilette.
Der Mann kommt zurück ins halbdunkle Zimmer, irgendetwas erregt seine Aufmerksamkeit.
Er geht Richtung Vorhang und trifft auf seinen Mörder...
Wenige Stunden später ist die Polizei vor Ort. Der Killer hat ein wahres Blutbad angerichtet und den Mann regelrecht ausgeweidet.
Es handelt sich bei dem Opfer um einen Polizisten namens Stig Nyman, der sich zu Lebzeiten nicht gerade für Korrektheit im Dienst berühmt gemacht hat.
Kommissar Beck und seine Kollegen ermitteln zuerst in alle Richtungen.
Und schon bald finden sie heraus, dass es sich bei dem Mörder um eine sehr gefährliche Person handelt, der es um Rache geht.
Schwer bewaffnet verschanzt sich der Amokläufer auf einem Dach und schießt auf alle Polizisten, die eine Uniform anhaben oder die ihm persönlich bekannt sind.
Wer ist er, was ist sein Motiv und - die dringendste Frage - wie kann man ihn stoppen?


Kommissar Beck


Polizisten unter Beschuss


Es gibt Filme, bei denen man ab einer gewissen Laufzeit versucht ist, mal auf die Uhr zu schielen oder sich zumindest zu fragen, wie lange man jetzt schon vor der Leinwand sitzt. Bei mir ist es besonders dann der Fall, wenn sie über die "magische Grenze" von eineinhalb Stunden hinausgehen.
Es gibt aber auch Filme, die eine fast unheimliche Sogwirkung besitzen - man fühlt sich in die Handlung regelrecht hineingezogen und schaltet Gedanken an Nebensächliches einfach ab.
Letzteres ist bei dem schwedischen Polizei-Thriller aus dem Jahr 1976, der stolze 107 Minuten Laufzeit hat, der Fall.

"Der Mann auf dem Dach" verfügt über diesen beißenden schonungslosen Realismus und Minimalismus, den skandinavische Filme oft an sich haben.
Das triste Stockholm, die kargen Lichtverhältnisse, die fahlen Farben der Wohnungen und der Gesichter der Protagonisten - dies alles erzeugt diese ganz spezielle Atmosphäre, die man entweder sofort fühlt und begreift, oder eben nicht.
Der Mord am wehrlosen Nyman, die Tatwaffe übrigens ein Bajonett, wird drastisch dargestellt und erinnert an Szenen aus Reportagen über Schlachthöfe. So realistisch hat das Blut in Italien zu dieser Zeit bei Weitem nicht ausgesehen.

Manche der ermittelnden Kommissare werden zu Beginn als "gewöhnliche Männer", in zivil, zuhause im Kreis ihrer Familie gezeigt.
Nein, sie sind keine Superbullen, die nie eine Pause brauchen und ihre menschlichen Bedürfnisse für die Zeit der Ermittlungen abstellen.
Auch im weiteren Verlauf der Geschichte wirken sie stets menschlich und authentisch. Als Beck müde wird und die Motivation etwas nachlässt, gönnt er sich eine Auszeit in einem Wellness-Bereich. Einer seiner überarbeiteten Angestellten nickt kurz ein während einer Befragung und muss dann wieder mithilfe des "grässlichen Spülwasser-Kaffees" belebt werden.

Generell fällt das starke Bemühen auf, streng nach Polizeiprotokoll vorzugehen und die Abscheu gegenüber der Befragungsmethoden des verblichenen Kollegen Nyman und eine daraus resultierende Art kollektive Scham.
Das verleiht den Beamten einen zusätzlichen Sympathie-Punkt.

Die Dialoge wirken ebenso aus dem Leben gegriffen wie die Mimik der Schauspieler und die Charakter-Gesichter.
Als Beck bei einer anderen Polizeidienststelle nach einem dort arbeitenden Beamten fragt und die Auskunft erhält, man habe ihn heute noch nicht gesehen, bittet er den Polizisten am Telefon, doch mal die anderen zu fragen. Etwas widerwillig kommt aus dem anderen Ende der Leitung: "Welche anderen?"
Nun erhebt Beck seine Stimme und flucht, sie werden doch wohl mehr als einen Polizisten auf der Wache haben. In der Leitung wird es plötzlich leise und man hört gedämpft, wie sich der Gefragte in unmotiviertem Tonfall an seinen Kollegen wendet und erklärt, der arrogante Beck von der Mordkommission wolle wissen...
Beck verzieht bei diesem unbeabsichtigt hörbaren Dialog keine Miene.
Solche Szenen klingen banal, wirken aber grandios in ihrer Zurückhaltung und sind an Realismus nur schwer zu übertreffen.

Wenn gesprochene oder fotografierte Nebensächlichkeiten nachhaltig beeindrucken, wenn sie wie selbstverständlich in die Handlung eingebettet sind und mit dem Plot verschmelzen, dann hat der Regisseur, in diesem Fall ein Mann namens Bo Widerberg, Feinfühligkeit und sein künstlerisches Talent eindeutig unter Beweis gestellt.

"Der Mann auf dem Dach" zeigt nicht nur akribisch durchgeführte polizeiliche Ermittlungen, sympathische Charaktere und die tristen Straßen Stockholms, sondern präsentiert in der zweiten Hälfte des Films (als sich der Amokläufer auf dem Dach in Position begibt) Action und Spannung auf hohem Niveau.

"Der Mann auf dem Dach", ist eine Art Poliziottesco mit schwedischer Mentalität, angenehm zurückhaltend und in der Darstellung doch stechend scharf und außerdem ein spannender Kriminalfilm mit sorgfältiger Zeichnung der Charaktere.
Die vom Label Motion Picture veröffentlichte DVD hat eine Bild- und Tonqualität, dass es eine Freude ist.
Wer einen hierzulande weitestgehend unbekannten und wahrscheinlich auch unterschätzten cineastischen Klassiker erstehen möchte, sollte sich gleich um den Erwerb der DVD kümmern.
Wer sich für die literarische Vorlage des Films interessiert, suche nach den Romanen der Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö.


Foto: Die Hartbox von Motion Picture